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Spiele-Entwicklung

Streifzüge durch die Geschichte der Spiele und des Spielens.
Ein Bericht von: Dr. Bernward Thole

11 teilig - Von der Antike über die 60iger Jahre bis zum modernen Medienzeitalter

 

Spiele in der Antike

Wer sich mit der Geschichte, der Sozial- und Kulturgeschichte des Spiels und des Spielens beschäftigt, betritt noch heute weitgehend unerforschte Gefilde und kann Erstaunliches zutage fördern. Dazu gehört zum Beispiel auch die Erkenntnis, dass das Spiel zu den ältesten kulturellen Äußerungen des Menschen gehört, älter ist als alle in schriftlicher Form niedergelegten Ideen und Gesetze und beinahe ebenso alt wie die frühesten bildlichen Darstellungen. Schon in dieser Zeit empfanden die Menschen Freude an der spielerischen Auseinandersetzung mit dem Gesetzen des Zufalls, mit geometrisch-mathematischen Konstellationen.

Um eine ungefähre Vorstellung zu vermitteln: die Brettspiele, die Sir Leonard Wooley in den Königsgräbern von Ur in Chaldäa fand, werden heute auf die Zeit um ungefähr 2.800 vor Christus (!) datiert. Ihre prächtige künstlerische Verarbeitung mit Muscheln, Perlen und Lapislazuli deutet eher auf den Höhepunkt einer alten Spielkultur hin denn auf Archetypen einer neuen Erfindung.

Diese Spiele von Ur lagen bemerkenswerter Weise nicht bei den eigentlichen Grabbeigaben in der Kammer des Priester-Königs, sondern unter dem Handwerkszeug und den Musikinstrumenten des Gefolges, unter den Gebrauchsdingen des Alltags vor der Grabkammer. Und nicht etwa bei Kindern, sondern bei den erwachsenen Gefolgsleuten des Priesterkönigs.

Ein anderes, eher kurioses Zeugnis früher Spiele-Leidenschaft: um 1.400 vor Christus schlugen die Tempelsteinmetzen von Kurna in Ägypten einen Mühle-Spielplan in den Stein des Jiebels und vergnügten sich während Arbeitspausen in luftiger Höhe bei einem munteren Spielchen. Schon diese frühen Beispiele zeigen, dass Spielen als kulturelle Form der Freizeitbeschäftigung weder an bestimmte Stände noch an bestimmte Lebensalter gebunden war und ist.

Jede Zeit, jeder Stand und jedes Alter entwickelte da im Verlauf der Jahrhunderte seine spezifischen und stets modegebundenen Formen und Spielarten. Sie alle zu erfassen und mit Spielplänen und Spielregeln zu dokumentieren, würde sicherlich mehrere Buchregale füllen. Die Dokumentation der Regeln würde dabei mit Sicherheit die größten Schwierigkeiten bereiten. Denn Regeln in schriftlicher Form, die sich einigermaßen nachvollziehen lassen, finden sich erst im Mittelalter. Davor wurden sie halt stets und nahezu ausschließlich mündlich vermittelt und sind nur in Zitaten überliefert.

Doch bleiben wir auf unserer Spiele-Reise durch die Zeiten und Kulturen noch ein wenig in Ägypten. Hier entwickelte sich aus dem Ur-Spiel das berühmte Senetspiel, das in letzter Zeit immer wieder in Nachbildungen mit rekonstruierten oder neuerfundenen Spielregeln angeboten wird. Es wurde seinerseits wieder Grundlage eines anderen Klassikers, der einmal ganz und gar vergessen war und heute wieder viel gespielt wird: des guten alten Backgammons.

Und noch ein anderes klassisches Spielprinzip geht auf dieses alte Kulturland zurück, das viele für die eigentliche Wiege der europäischen Kultur halten. Im altägyptischen Schlangenspiel finden wir genau den Spielplan in Gestalt einer eingerollten Schlange wieder, den wir ihn aus vielen Gänsespielen und einfachen Würfelspielen kennen. Hier allerdings handelte es sich nicht um ein Gesellschafts- und Unterhaltungsspiel, sondern es ging, wie aus einem Papyrus der 20.Dynastie deutlich wird, um die Glückseligkeit im Jenseits!

Die enge Verknüpfung von Spiel und Mythos tritt in dieser Frühgeschichte des Spiels deutlich zutage und weist auf gemeinsame Wurzeln hin. Noch bis ins Mittelalter bestehen solche Bezüge, ja teilweise noch bis in die heutige Zeit, hier allerdings nur noch rudimentär und insbesondere auf der Ebene abergläubischer Verhaltensmuster bei Glückspielen.

 

Spiele bei den alten Griechen

So interessant und ergiebig das alte Ägypten in Hinblick auf die Geschichte des Spiels auch ist, wir machen einen Sprung über das Mittelmeer nach Griechenland. Wer die heutigen Griechen kennt und sie einmal beim Spiel im Kaphenion beobachtet hat, ahnt bereits, dass hier eine uralte Spielkultur besteht, die eigentlich nie unterbrochen war. Jahrhunderte lang traute man ihnen durchaus zu, auch das Schachspiel erfunden zu haben. Entstanden sei es, so besagt die Legende, aus purer Langeweile. Während der langwierigen Belagerung Trojas wurde das Kriegsvolk ungeduldig, Aufruhr und Empörung griffen um sich. Da habe Palamedes sie mit diesem Spiel beschäftigt, das so spannend war, dass sie über ihre Spielleidenschaft ganz und gar ihren Zorn vergaßen. Gestützt wird diese Geschichte durch eine Amphora des Exekias aus der Zeit um 530 v.Chr., auf der Archill und Ajax beim Spiel dargestellt werden. Sie sollen ja nach Homer an der Belagerung Trojas teilgenommen haben. Die Legende ist so hübsch, dass man sie lange Zeit für bare Münze nahm. Wer genauer hinschaut, findet allerdings nur den Beweis, dass die Griechen, wie eben auch die Ägypter, bereits Brettspiele kannten und turmartige Spielsteine benutzten. Von Schachfiguren ist auch auf der genannten Vase nichts zu sehen.

 

Spiele bei den Römern

Nach Homer haben sich auch die Freier der Penelope, der Gattin des Odysseus, die Zeit mit Spielen vertrieben. Sie spielten ein Spiel, das ebenfalls Palamedes erfunden haben soll. Als Latrunculorum Ludus haben es auch die Römern noch leidenschaftlich gespielt. Die Römer übernahmen übrigens -neben manchem anderen Spielgerät - auch die sogenannten Astragale von den Griechen, Würfel aus den Füßknöcheln der Tiere, die von Männern und Frauen gleichermaßen zu den verschiedensten Spielen benutzt wurden. Diese Astragale haben sich allem Anschein nach gerade bei den römischen Legionären größter Beliebtheit erfreut. Die Zahl entsprechender Ausgrabungsfunde rund um die Kastelle spricht für sich. Man spielte zunächst in erster Linie ein Geschicklichkeitsspiel damit, das heute noch in vielen afrikanischen Ländern gespielt wird: die Knöchelchen wurden hochgeworfen und mussten mit dem Handrücken wieder aufgefangen werden, zumindest möglichst viele von ihnen. Später wurden die Knochen mit Ziffern bezeichnet und man benutzte sie als Würfel zum Glücksspiel. Hier ging es zuweilen um durchaus hohe Summen. Damit treten aber auch schon unsere Vorfahren, die alten Germanen in die Spielgeschichte ein.

 

Spiele bei den alten Germanen

Sie übernahmen gerade diese Glücksspielvariante von den Römern und zwar mit einer Leidenschaft, die selbst die Römer einigermaßen irritierte. Tacitus berichtet in seiner Beschreibung unserer Gegend, dass die Germanen in ihren Spielen ohne Bedenken Haus und Weib und Kinder zum Pfand einsetzten. Ja, sie waren sogar bereit, ihre eigene Freiheit "auf's Spiel zu setzten" und folgten dann auch bei Verlust eben derselben willig dem Gewinner in die Sklaverei. Das Leben war eben einfach verspielt und nichts mehr wert, wenn die Götter einen nicht mehr liebten und dies dadurch zeigten, dass sie das Glück entzogen. Auch hier tritt wieder der religiös-mythologische Urgrund des Spiels und allen Spielens wieder deutlich in Erscheinung.

Wo wir nun schon einmal in Germanien angelangt sind, bleiben wir dort, machen aber einen großen zeitlichen Sprung ins Mittelalter. Die Christianisierung hatte unsere Vorfahren und insbesondere auch ihre Spielleidenschaft domestiziert. Man liebte es, tiefsinnig über die Magie der Zahlen zu philosophieren und geriet über ihre innere Mathematik ins Schwärmen. Aber das war nur die intellektuelle Oberfläche. Darunter schwelte doch die alte Spielleidenschaft weiter. Das beweist deutlich der Einbruch der Spielkarte in diese Idylle.

Ungefähr 1376 muss sie in einem italienischen Hafen (vielleicht in Neapel?) an Land gegangen sein und löste unmittelbar darauf in ganz Europa ein Spielfieber ohnegleichen aus. Ihr Weg über Italien in die europäischen Staaten ist mit obrigkeitlichen Verboten geradezu gepflastert: 1376 in Florenz, 1377 in Basel, 1380 in Nürnberg usw.

Kartenspielen lenkt ab vom Pfad der Tugend, so lautet der durchgängige Tenor, und vor allem von der Arbeit zum Nutzen der Herrschenden. Gemeint und angesprochen war damit in erster Linie das einfache Volk, nicht so sehr die Oberen in \del und Kirche. Wie dem auch sei, gespielt wurde auf allen Plätzen des öffentlichen Lebens, bis hinein in die Kirchen. Da musste eben mal ein Machtwort gesprochen werden.

Bußprediger zogen umher und wetterten wider die Spielleidenschaft. Einer der rührigsten war der Mönch Capistrano. In Erfurt, in Frankfurt, in Nürnberg, überall errichtete er aus dem eingesammelten Spielgerät große Scheiterhaufen und zündete sie an. Spiele-Verbrennungen - auf großen Gemälden sind sie festgehalten. Dem Sammler, der sie betrachtet, blutet das Herz ob der brennenden kostbaren Spielbretter und Spielkarten.

Des einen Freud, des anderen Leid: dem Spielhistoriker erleichterten diese Spielverbote und diese Bußexpeditionen enorm die Arbeit. Deshalb bewegen wir uns gerade im Bereich der Spielkarte und seiner Geschichte auf bereits einigermaßen erforschtem Gebiet.

 

Spiele während der Reformation

Übrigens gab es in dieser Zeit auch geistliche Häupter, die über die sicherlich abzulehnenden Auswüchse hinaus nicht bereit waren, gleich jedes Spiel und jede Spielart als Teufelswerk zu verdammen. Martin Luther liebte das Wurfzabelspiel sehr und pflegte es mit seiner Frau und seinen Freunden. Er soll es sogar einmal zum Gegenstand einer Predigt gemacht haben, die aber wohl nicht überliefert ist.

Dieses Wurfzabelspiel war nichts anderes als jene Variante auf dem Backgammon-Brett, die heute noch in Griechenland sehr beliebt ist und dort "portes" genannt wird. Über die Kreuzzüge war dieses Spiel nach Europa gekommen und wurde in nahezu in allen Ländern sehr bald zum meistgespielten Brettspiel. Wir finden es daher in sehr, sehr vielen mittelalterlichen Abbildungen wieder, insbesondere in der Buch-und Initialenmalerei.

Auch ein aufgeklärter, allen Wissenschaften und Künsten zugewandter Fürst begegnet uns auf unserem weiteren Streifzug durch die Spielgeschichte. Er hat sich an der Schwelle der beginnenden Neuzeit in besonderer Weise um das Spiel und seine Verbreitung verdient gemacht. Es ist der berühmte Herzog August von Wolfenbüttel.

Unter dem Pseudonym Gustavus Selenus schreibt er 1616 die erste Schachgeschichte und Schachtheorie in deutscher Sprache. Ein großes Familienporträt zeigt, dass an seinem Hof viel und nicht nur Schach gespielt wurde. Die Frauen pflegen Konversationsspiele, wie wir sie auch aus den Büchern des Philipp Harsdörfer kennen, an den Tischen wird Wurfzabel und Schach gespielt, und es wird musiziert - jung und alt munter durcheinander. Das Bild zeigt einen sehr viel breiteren Spielbegriff, als wir ihn heute pflegen.

 

Spiele im Zeitalter des Barocks

Barock und Aufklärung brachten in das Spiel einen intensiven geistig-kreativen Akzent mit dem Erfolg, dass wir die wechselseitige Einwirkung vor allem in den Künsten wie Malerei und Architektur, aber auch in die Literatur bis heute verfolgen können.

Gotthold Ephraim Lessing, der als Bibliothekar ebenfalls eine Zeit am Wolfenbütteler Hof verbracht hat, liebte das Schachspiel und setzte ihm in seinem wohl bedeutendsten Drama "Nathan der Weise" ein Denkmal. Böse Zungen behaupten, sein Schachtisch sei das einzige authentisch nachweisbare Möbel im Wolfenbütteler Lessing-Gedenkhaus. Alles andere sei halt nur aus seiner Zeit, aber nie von ihm benutzt worden.

Diese geistig und politisch unruhige Zeit des Barock und der Aufklärung war überhaupt eine Hoch- und Blütezeit des Spiels. In Frankreich wurde während der Revolution gar eine Göttin des Spiels als Zeichen der neugewonnenen Freiheit auf die Ehre der Altäre gehoben. Trutzige Bilder zeigen, wie Freiheitskämpfer auf den Barrikaden Karten spielen. Ihre Karten zeigen die neuen bürgerlichen Tugenden Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als die höchsten Trümpfe. Auch hier hatten sie den verhassten König mitsamt seinen Damen und Buben vertrieben.

Die bald einsetzende Restauration brachte allerdings neue Modespiele auf. Die neue vornehme Gesellschaft und jeder, der in Frankreich dazu gezählt werden wollte, spielte in den überall aufkommenden bürgerlich-intellektuellen Salons plötzlich L'hombre, ein aus Spanien stammendes Kartenspiel, das wir als einen Vorläufer des Bridge ansehen können. Goethe lernte es während seiner Straßburger Zeit kennen und hassen. Ihm wollte es nicht in den Kopf, dass nur derjenige wirklich Ansehen in dieser Gesellschaft genießt, der auf akkurate Art die Spielkarten halten und ausspielen kann. Diese L'hombre-Seuche störte auf lange Zeit sein Verhältnis zum Spiel.

Nur wer diesen Hintergrund kennt, kann ermessen, wie schockiert er war, als ihm zugetragen wurde, dass ausgerechnet einer seiner besten Freunde, nämlich Friedrich Schiller, sich nächtelang dem L'hombre-Spiel hingebe. Selbst wenn Frau Schiller sich schon zur Ruhe begeben habe, würde Friedrich mit den Bediensteten bis in die tiefe Nacht weiterspielen, wussten Weimars Klatschbasen zu berichten.

Goethe war beunruhigt und ermahnte den Dichterfreund, ein wenig mehr an seine dramatische Produktion zu denken und weniger zu spielen. Was er allerdings nicht wusste, war die Tatsache, dass Schiller aufgrund seiner Erkrankung große Atemnot bekam, wenn er sich schlafen legte. Da er aber nicht Tag und Nacht mit Arbeiten und Schreiben verbringen konnte, zog er es halt vor, sich lieber ein wenig mit Spielen abzulenken und beim Spiel zu entspannen. Goethe hat übrigens in der Weisheit des hohen Alters wieder etwas anders über das Spiel gedacht und zum Schachspiel zurückgefunden.

 

Spiele um 1900

Noch zu Beginn und in der 1.Hälfte unseres Jahrhunderts haben wir eine breite Spielkultur in Deutschland aufzuweisen. Im öffentlichen Bereich, dem Kaffeehaus, dem Hotel-Salon und der Kneipe, dominierte das Kartenspiel. Das waren zunächst einmal landschaftsgebundene Traditionen wie Binokel, Gaigel, Schafskopf und Tarock. Wer aber auf sich hielt, städtische Weitläufigkeit besaß und auch zeigen wollte, spielte dagegen Whist, später Bridge und vor allem Schach.

Ein Frau von Welt aber, so wollten es die Anstandsregeln, rührte an diesen Orten weder Brett- und schon gar keine Kartenspiele an. Allenfalls das ästhetisch schön anzuschauende, gerade 100 Jahre alt gewordene Domino-Spiel wurde ihr zugestanden. Doch die Damen machten aus der Not eine Tugend und übertrugen, listig wie sie waren, viele altbekannte Kartenspiele auf die kleinen gepunkteten Steine. Nur wer ganz genau hinschaute, konnte feststellen, dass hier sogar mit Dominosteinen auf-Spielteufel-komm-raus gepokert wurde. Kein Wunder also, dass uns aus dieser Zeit so viele Domino-Varianten überliefert sind.

Im privaten Bereich wird das Brettspiel geradezu zu einem Symbol der bürgerlich-häuslichen Idylle. Man spielt mit den Kindern die lustig-bunten Meggendorfer-Spiele, einfache Umlauf- und Start-Ziel-Spiele. Mit der Ehegattin und den erwachsenen Töchtern das englische Halma (erst um 1857 erfunden!) und vor allem das brandneue sensationelle "Salta". In seiner aufregend jugendstiligen Aufmachung war es das Modespiel der Jahrhundertwende, das man einfach kennen musste. In den Zeitungen wurden die neuesten Partien der verehrten "göttlichen" Schauspielerin Sarah Bernhard gegen den Autor dieses Spiels, den Hamburger Musiker Büttgenbach abgedruckt. Ja, man konnte sogar eine eigene Salta-Zeitschrift bestellen, um sich so zur höheren Meisterschaft in diesem Spiel aufzuschwingen.

 

Spiele während der Weltkriege

Der I. Weltkrieg setzte dem phänomenalen Aufstieg dieses Spiels ein jähes Ende. Spätere Versuche, das Spiel wieder zu beleben, scheiterten kläglich. Andere Spiele entsprachen eher dem neuen Zeitgeist. So etwa das "Monopoly", das in der Weltwirtschaftkrise zu Ende der Zwanziger Jahre plötzlich aufblühte und zu einem der erfolgreichsten Spiele unseres Jahrhunderts wurde.

In Deutschland hatte es allerdings zunächst einmal einen Fehlstart und geriet unvermittelt in den Strudel der politischen Verhältnisse. 1936 wollte es Parker, einer der bedeutendsten amerikanischen Spiele Hersteller dieser Zeit, endlich auf den deutschen Markt bringen. Um sich bei den damaligen Machthabern einzuschmeicheln, hatte man eine eigene deutsche Version mit Berliner Straßennamen geschaffen und zu allem Überfluss auch noch Schwanwerder, wo der neue nationalsozialistische "Adel" wohnte, als teuerstes Edelviertel ausgewiesen.

Vor allem Propagandachef Josef Goebbels fühlte sich dadurch weniger geehrt, wie man das aus kapitalistischer Sicht eigentlich erwartet hatte, sondern vielleicht entlarvt, auf jeden Fall aber aufs höchste brüskiert. Er sorgte dafür, dass der Verkauf des Spiels sofort gestoppt wurde. Erst 20 Jahre später konnte Monopoly auch hierzulande seinen Siegeszug zu einem der beliebtesten Spiele antreten, allerdings nur im westlich orientierten Teil Deutschlands. In der DDR ist es auch heute noch verboten, hat dort aber nichts desto weniger viele heimliche Fans, die alle angebotenen einheimischen Nachbauten ablehnen und nur das Original spielen wollen. (Dieser Artikel wurde vor dem Mauerfall geschrieben. S.Frey).

Insgesamt bringt der 2.Weltkrieg einen erstaunlich tiefgreifenden Bruch in die deutsche Spielgeschichte, wie er in anderen Kulturen in dieser Form nicht nachzuweisen ist. Mit dem Kriegsende setzte eine in ihrer Radikalität geradezu erschreckende spielfeindliche Periode ein. Sie hatte ihre tiefsten Wurzeln wahrscheinlich schon im faschistischen Regime des 3.Reiches, als auch das Spiel skrupellos in den Dienst seiner Ideologie gestellt und damit verfälscht und korrumpiert wurde. Erinnert sei nur an das unselige "Wehrschach", bei dem nicht nur Tanks eingesetzt wurden, sondern auch die neue Wunderwaffe "V 2".

 

Spiele in der Nachkriegszeit

In der Nachkriegszeit, der Zeit des Wiederaufbaus, hatte man jedenfalls anderes im Kopf als "ausgerechnet Spielen". Das Spielen wurde plötzlich allein den Kindern zugewiesen und zugleich als kindisch und geradezu minderwertig abgetan. Erwachsene spielten nicht, das war schlicht Zeitvergeudung. Es hielten sich allenfalls noch ein paar klassische und vor allem bodenständige Spiele, die sich das einfache Volk nicht nehmen ließ.

Die pädagogische Wissenschaft verinnerlichte diese Vorstellungen und lieferte den entsprechenden theoretischen überbau. Danach hat das Spiel nur eine Bedeutung für das Kind in seinen beiden ersten Entwicklungsstufen. Mit dem Eintritt in die Pubertät ist die Spielphase abgeschlossen. Es beginnt der ausschließliche Ernst des Lebens, es wird nicht mehr gespielt, jetzt wird fürs Leben gelernt.

Und so kam es in der Lernspielphase Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre gar so weit, dass selbst dem Kind Spielen plötzlich nur noch dort gestattet werden sollte, wo damit deutlich erkennbar auch Lernabsichten und möglichst kontrollier- und regulierbare Lerneffekte verbunden waren. Aber die Kinder verweigerten sich plötzlich, wiesen diese pädagogisch autorisierten, pädagogisch manipulierten Spiel-Angebote ab. Als ob sie wüssten, was ihre Eltern inzwischen vergessen hatten, dass nämlich Spiel immer auch zugleich ein Lernen ist, aber nur dort, wo es sich frei entfalten kann. Spiel ist nun einmal ein höchst spiritueller Vorgang und lässt sich nicht wie eine Lampe, je nach Bedarf, an- und ausknipsen.

 

Spiele-Entwicklung in den 60er bis Ende der 80er Jahre

Mitte der 60er Jahre machte sich der lange strangulierte Spieltrieb ganz elementar Luft und fordert sein Recht. Man und frau begannen langsam wieder zu spielen. Und in dem Maße, wie sich das Spielverhalten der Erwachsenen entkrampfte, entwickelte sich auch wieder ein natürlicheres Verhältnis zum Spiel der Kinder.

Gediegen und reputierlich aufgemachte Spiele erleichterten den Erwachsenen die Rückkehr an den Spieltisch. Von Amerika kamen die legendären 3M-Spiele: hochkarätige taktische und strategische Denkspiele, aber auch faszinierend aufgemachte Sportspiele. In Sammlerkreise erzielen sie heute Fantasiepreise. Deutsche Hersteller klinkten sich ein. Eine Fülle von Neuerscheinungen überschwemmten den Markt. Die Medien begannen, von der großen, der erstaunlichen Spielwelle zu sprechen.

Das zarte Pflänzchen Spiel hatte sich kaum zu neuem Leben erhoben, da brach - von Japan und Amerika kommend - das elektronische Spiel mit schrillen Pfeif- und Piepstönen über uns herein. Allenthalben stimmten die Kulturpessimisten vom Dienst laute Klagelieder an und verkündeten den nahen Tod des soeben erst wieder auferstandenen und zu neuem Leben erwachten Sprosses unserer Unterhaltungskultur.

Nur in den guten alten Brett- und Kartenspielen, das war in ihren "Nachrufen" zu lesen, finden Jung und Alt, Frau und Mann Erholung vom Stress des Alltags und zueinander. Der elektronische Spielpartner sei ein weiterer Schritt in die Vereinzelung und Vereinsamung. Die alles überrollende Elektronikwelle sei nun dabei, auch noch das Spiel gänzlich zu vereinnahmen und in seinen Dienst zu stellen.

Aber es kam ganz anderes. Die Elektronikwelle verebbte wie ein böser Spuk. Mikrochip, Licht- und Tonsignale übten nur eine begrenzte Faszination aus. Statt neuer wirklich Spielideen boten sie nur Elektrifizierungen klassischer Brett- und Kartenspiel oder simple Reaktionsspielchen. In den Umsätzen des Spielwarenhandels spielen elektronische Spiele heute nur noch eine untergeordnete Rolle.

Die traditionellen Brett- und Kartenspiele dagegen sind plötzlich wieder in einer Art und Weise gefragt, die nur verblüffen kann. Die Produktionen steigen, immer mehr Spiele werden aus anderen Ländern importiert, immer wieder neue Trends sorgen für neues Spielfutter. Im Bereich der Vor- und Grundschulspiele machen die neuen kooperativen Spiele von sich reden. Die Fantasy-Rollenspiele im Gefolge von Tolkien und Michael Ende schwappen von Amerika herüber und ziehen mit ihrer über- und unterirdischen Dämonenwelt meist Jugendliche in ihren Bann. Die Welle der Kriminal- und Agentenspiele. Die Welle der neuen Wirtschaftsspiele. Und dann erst die noch immer nicht abgeebbte Quizspielwelle im Anschluss an das sagenhafte "Trivial Pursuit" mit seinen umwerfenden Fragen zwischen höchster Trivialität und tiefstem Nonsens. Die Flut der Neuerscheinungen ist kaum noch zu überblicken.

Kochsaison für neue Spiele bedeutet natürlich auch Hochsaison für die Spiele-Autoren. Ihre Ideen und Entwürfen sind plötzlich in einem bisher ungewohnten Ausmaß gefragt. Darüber ist ihr Selbstbewusstsein enorm gewachsen. Auf den diesjährigen Göttinger Spiele-Autorentagen gab Ihnen sogar Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth die Ehre. Mit Genugtuung konnte sie feststellen, dass die Zahl der weiblichen Spiele-Autoren sehr stark zunimmt. Genannt seien etwa Elke Flogaus ("Der fliegende Teppich") oder Ilse Dreher-Plonka ("Häschen hüpf").

Nicht nur die Spiele und Spieltitel laufen ins Uferlose, nicht nur Hochsaison für Spiele-Autoren. Im Verlauf der neuen Spielewelle sprießen plötzlich Spiele-Zeitschriften, professionelle wie auch von begeisterten Amateuren hektographierte, in Hülle und Fülle in der neu erwachten Spiele-Landschaft. Ergebnis einer oberflächlichen Zählung: mindestens 15 Magazine finden heute hierzulande ihre Leser. Immer mehr Tageszeitungen richten nach dem Vorbild der Wochenzeitung DIE ZEIT und der FRANKFURTER RUNDSCHAU eigene Spiele-Kolumnen ein, in denen mehr oder weniger regelmäßig über neue Spiele berichtet wird. 18 Zeitungen waren es im vorigen Jahr und ihre Zahl nimmt weiter zu.

Und schon bald hält es die neuen "Spielwilden" nicht mehr in ihren vier eigenen Wänden. Wie Missionare ziehen sie aus, andere für ihr Hobby zu begeistern. Volkshochschulen richten Spiele-Seminare ein. Landauf landab finden regionale Spiele-Treffs statt, von Hamburg ("STARD") über den Kohlenpott ("Ruhrikon") bis hin nach München ("Spuiratz'n"). All dies nimmt die Zeitschrift "SpielBox" auf und veranstaltet 1983 den ersten überregionalen Spielertreff in Essen. Das Wachstum der Essener "Internationalen Spieltage", wie sie inzwischen heißen, ist rasant: 1983 kamen rund 5.ooo Besucher in die Räume der Volkshochschule, im nächsten Jahr waren es bereits 15.000. Heute orientieren sich alljährlich mehr als 40.000 Spiele-Fans in den weitläufigen Essener Messehallen, was es denn wohl neues am Spielemarkt gibt. Und dies ohne allzu viel Werbeeinsatz.

Wer nach den Gründen für diese enorme Renaissance der alten Brett- und Kartenspiele in unserem technischen Zeitalter fragt, bekommt schnell parat gehaltene Antworten. Da ist die Rede vom gestiegenen Freizeitvolumen, von den gewachsenen finanziellen Möglichkeiten. Aber auch die Rede von der Fern-sehmüdigkeit und dem Verlangen nach geselliger Unterhaltung, dem mitmenschlichen Austausch und dem Erleben gemeinsamen Spielspaßes. Und doch bleibt bei vielen eine gewisse Irritation über soviel unbändige Spielfreude. Aber waren in den zurückliegenden historischen Räumen nicht schon immer geistig unruhige Zeiten, Zeiten der Aufklärung überaus spielfreudige Zeiten?

 

Spiel im Medienzeitalter

Die folgenden Gedanken sind also Reflexionen eines Zeitgenossen, der über 60 Jahre hinweg die entscheidenden Phasen des Wegs in das Medienzeitalter mitgegangen ist, ja auch miterlitten hat. Es sind erste Gedanken, eine Annäherung an das Thema, darauf angelegt, dass wir miteinander ins Gespräch kommen. Damit Sie wissen, was Sie erwartet: zunächst einige einführende Vorbemerkungen zum Thema, dann eine Auseinandersetzung mit dem Begriff "Medienzeitalter". Das "neue Medienzeitalter" - ein Medienzeitalter wird immer wieder ausgerufen, jetzt also auch bei einer zweiten Welle der Elektronik. Dann Aussagen zum Kern: das Spiel im Ensemble der Medien. Und schließlich eine Prognose für das nächste Jahrtausend.

1. Erste Welle elektronisch gesteuerter Spiele

Also zunächst einige einführende Anmerkungen zum Thema: Als Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre die erste Welle der elektronischen, der Mikrochip gesteuerten Spiele anbrandete, sagte man schon damals das Ende der traditionellen "board and table games", wie die Engländer sie nennen, also der Brett- und Tischspiele voraus. Ihr unmittelbar bevorstehendes Ende sogar. Der kommende Mensch des Medienzeitalters, so wurde allgemein prophezeit, spielt alleine vor dem Bildschirm, hoffnungslos und schicksalhaft seiner Vereinzelung entgegengehend. Dieses düstere Szenario trat dann jedoch nicht ein. Die traditionellen Spielformen erlebten im Gegenteil eine in der Geschichte des Spiels und der Spiele einzigartige Entwicklung. Im deutschsprachigen Raum boomten sie über zehn Jahre lang mit Zuwachsraten von jährlich zehn bis zwölf Prozent. Die elektronischen Spiele dagegen gerieten in eine tiefe Krise, aus der sie erst der kometenhafte Aufstieg des Gameboys und dann - parallel dazu - neue Speichertechnologien wieder herausführten. Heute erleben wir eine zweite Welle der elektronischen Spiele, ausgelöst durch noch leistungsfähigere Microchips und die enorm gesteigerten Kapazitäten im Bereich von RAM und ROM. Sie brachten nicht nur leistungsfähigere Handspielgeräte und Spielkonsolen auf den Markt, sondern - eben auf der Basis der dramatisch gesteigerten Speicherkapazitäten - auch eine ständig wachsende Vielzahl von komplexen und ideenreichen Spielen auf dem Personalcomputer. Die hohe Marktdurchdringung der Hardware Spielgeräte, Konsolen, Personalcomputer verbreiterte entscheidend die Absatzmöglichkeit von Spielesoftware und somit die Konkurrenz für das traditionelle Spieleangebot in Bereich der Brett- und Tischspiele. Gleichzeitig haben die klassischen und die elektronischen Spielmedien im Freizeitbereich von ganz anderer Seite eine neue, nicht zu unterschätzende Konkurrenz bekommen. Das neue Medienzeitalter ist ausgerufen. Per Kabel und Schüssel lassen sich unendlich viele Programme in den Fernsehapparat holen. Zusätzlich kann über das Internet alle nur denkbare Unterhaltung, Angebote aus aller Welt auf den häuslichen Bildschirm geholt werden. Dies sind nur zwei Beispiele für das überwältigende Angebot der neuen Epoche, die man allgemein als das Medienzeitalter bezeichnet. Doch die verfügbare Zeit zur Nutzung all dieser medialen Freizeitangebote im Bereich der Musik, des Sports usw. ist begrenzt. Das neue Medienzeitalter: Hier ist vielleicht die Stelle, wo man darüber nachdenken sollte, wo die Gründe für diese neuerliche Explosion im Bereich der Medien liegen.

2. Historischer Rückblick

Ein erster Blick zurück in die Geschichte: Der Buchdruck. Das war etwas ähnlich revolutionierendes. Die Erfindung der beweglichen Lettern hatte zur Folge, dass Bücher, Almanache, Zeitungen usw. massenhaft reproduzierbar, massenhaft herstellbar waren. Das Buch hörte auf, Privileg der Kirche und des Adels zu sein. Es ist alsbald auch das des Besitzbürgertums und des Bildungsbürgertums. In dieser Zeit haben wir ein enormes Anwachsen der Trivialliteratur zu registrieren. Zur Goethezeit wurde nicht etwa viel Goethe gelesen, sondern - das hatte Goethe immer gekränkt - die furchtbaren Schauerromane und Räuberpistolen seines Schwagers Vulpius. Ein enormes Anwachsen also der Trivialliteratur und Sachliteratur, aber auch anderer Druckerzeugnisse vielfältigster Art. Das Spiel, die Spielkarten oder das Puzzle haben von dieser Entwicklung ganz ungeheuer profitiert. Ein zweiter Blick zurück: Die Beherrschung der Elektrizität. Die Folge war, das die Aufzeichnung und Übermittlung von Bild- und Tondokumenten zunehmend den auf mündliche und schriftliche Traditionen ausgerichteten traditionellen Medienmarkt revolutionierte. Telefonische Nachrichtenübermittlung mit und ohne Draht lässt ein erstes Mal die Welt zusammenschrumpfen. Die "Neuen Medien", so wurden sie damals genannt, Film, Rundfunk, Fernsehen, bestimmen mehr und mehr die Medienlandschaft. An dieser Stelle ein kurzer Exkurs auf die Zeit des NS-Regimes. Der Einsatz dieser neuen Medien, der Volksempfänger, die Möglichkeit der Beschallung riesiger Plätze (etwa des Nürnberger Aufmarschgebiets), der Tonfilm (Stichwort: Leni Riefenstahl) und andere Medien haben sicherlich den Nationalsozialismus erst wirklich möglich gemacht. Große Volksmassen zu indoktrinieren, diese Massen präzise zu führen, das ermöglichte eben diese neue Technik, die neuen Medien. Jetzt ein dritter Blick in die Gegenwart: Stichworte Mikrochip und Computertechnik. Die Folge der zweiten technischen oder elektronischen Revolution ist noch tiefgreifender und vor allem umfassender als die des Buchdrucks, als die der ersten elektronischen oder elektrischen Revolution. Weltumspannende Nachrichtenübermittlung, neuer Produktions- und Reproduktionsaustausch über das Internet. Wieder sind neue Medien im Entstehen, deren Art und Umfang und Folgen noch gar nicht absehbar sind. In jedem Fall aber bleibt positiv zu vermerken: eine weitere Demokratisierung des gesamten Medienmarkts sowohl im Bereich der fiktionalen wie der nonfiktionalen Medienproduktionen. Aber auch negative Aspekte wie das Ersticken in der Überfülle an medialen Angeboten und Möglichkeiten, das Ersticken in Datenmüllbergen sind zu registrieren.

3. Das Spiel im Ensemble der neuen Medien

Meine Stellung und meine Arbeit als Leiter des Deutschen Spiele-Archivs bringen es mit sich, dass ich hier in diesem Vortrag immer wieder im Schwerpunkt von den Brett- und Tischspielen spreche. Sie stellen eine eigene Facette, eine eigene Gattung innerhalb der Spiele dar, mit einer eigenen Geschichte, mit einer eigenen Entwicklung. Diese Dinge stehen also hier im Mittelpunkt meiner Reflexionen. Spiele im Sinne dieser Brett- und Tischspiele also gehören zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit. Ich hatte am Anfang bereits darauf hingewiesen: Spiele in diesem Sinne haben mediale Funktion, einmal in der Kommunikation zwischen den Generationen, in der Übermittlung von Lehr- und Lerninhalten, aber auch in der Vermittlung von Botschaften. Werbung, Spiele als Werbeträger in der "Aufklärung", in der Propaganda: hier komme ich noch einmal auf den Exkurs in die NS-Zeit vorhin zurück. In der Ausstellung "Krieg im Spiel, Spiel im Krieg", die wir vor Jahren in der Gethsemane-Kirche, aber auch noch an vielen anderen Orten gezeigt haben, konnte man sehen, wie Spiel im Nationalsozialismus einmal zur Indoktrination, dann zur Aufklärung der Bevölkerung im Hinblick auf das Verhalten unter Kriegsbedingungen an der Front oder zu Hause eingesetzt wurde, aber auch gleichzeitig als Transportmittel für ideologische Rassenvorstellungen und vieles andere mehr. Aber das brauche ich an dieser Stelle nicht weiter auszuführen. Es ist nur bedauerlich, dass gerade diese Spieltradition, dieses Produkt der NS-Zeit heute nur noch ganz schwierig greifbar und vorführbar ist. Diese Dinge und jetzt auch die DDR-Produktionen stehen in Gefahr spurlos zu versickern. Wir haben als Archiv uns die Aufgabe gesetzt, diese Dokumente der Verbrauchskultur festzuhalten und zu analysieren und der Nachwelt zugänglich zu machen, um aus diesen Erfahrungen zu lernen. Also Spiele haben ganz klar mediale Funktionen. Mediale Funktionen in der Kommunikation zwischen den Generationen, in der Vermittlung von Lehr- und Lerninhalten, in der Vermittlung von Botschaften in Werbung, Aufklärung, Propaganda, in der Widerspiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse, aber auch als Mittel der Analyse und der geistigen und sinnlichen Erfahrung von Spannungsfeldern, von Gefühlen usw. Das reicht schließlich bis hin zu den Sandkastenspielen der Militärs, der Wirtschaftswissenschaften. Sie erinnern sich vielleicht, dass im letzten Jahr der Nobelpreis an einen Wirt- schaftswissenschaftler wegen dessen Spieltheorie ergangen ist. Spiele haben mediale Funktion, sie sind Medien. Sie gehören allerdings, ich sagte das eingangs schon, nicht zu den reinen rezeptiv aufzunehmenden Medien, wie Film und Fernsehen etwa. Sie haben mit der Musik gemeinsam eine Partitur, eben die Spielregel, aber im Gegensatz zur Musik können Spiele nicht oder nur sehr begrenzt vorgespielt bzw. abgehört werden. Mir fiel, als ich mir dieses so gedanklich vorstellte, spontan der "Kiebitz" beim Skat ein. Der ist nie geliebt, er bleibt immer draußen. Er wird von den Spielern eigentlich gehasst, weil er ein Störenfried ist durch seine mehr oder weniger aufschlussreichen Kommentare über die Intelligenz der Spielenden und deren gerade getroffene Maßnahmen oder ausgegebene Karten. Spiele also können nicht vorgespielt, nicht abgehört werden, sie sind Partitur -und damit kommen wir zu den weiteren medialen Spezifika und Besonderheiten des Spiels. Spiele und Spielen lösen den Menschen aus seiner Vereinzelung, fordern in hohem Maße die Kommunikation und Interaktion. Es gibt zwar Spiele für eine Person, da ist auch gar nichts gegen einzuwenden. Aber die Mehrzahl der Spiele sind auf Kommunikation, auf Interaktion, auf gemeinsames Spielen ausgerichtet. Deshalb spricht man auch gern von "Gesellschaftsspielen". Spiele vermitteln, Stichwort Schachspiel etwa, gemeinsames Vergnügen an der Fähigkeit des Denkens. Spiele beflügeln die Phantasie, Spiel in diesem Sinne ist überaus reizvolle Befreiung aus den Zwängen des Alltags. Ich schlüpfe für eine Rolle in die Funktion oder in das Leben eines Börsenspekulanten oder eines Immobilienbesitzers, Stichwort Monopoly etwa. Ein anderes Stichwort sind hier die Puzzles. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass während des 1. Weltkriegs in England Soldaten, die unter Klaustrophobien litten, mit Puzzles therapiert wurden. Das Zusammensetzen eines Puzzles war für sie eine Chance, wenigstens einen Moment lang aus ihren gedanklichen Idiosynkrasien herauszukommen, sich selbst zu vergessen in der Erstellung eines Puzzles, in der Rekonstruktion eines Bildes. Spiele begleiten - und das ist ganz, ganz wichtig, das haben wir in unserem Jahrhundert des geradezu zwanghaften Produzierens und Konsumierens ein Stück weit aus den Augen verloren - den Menschen über sein gesamtes Leben. Zunächst sind sie ein didaktisch hochwertiges Mittel, Kindern einfache Fertigkeiten, Konzentration und logisches Denken, zielgerichtetes, planvolles Handeln zu vermitteln, zugleich aber auch auf dem Weg über die Einbindung in eine Regel soziales Verhalten zu trainieren und als positiv spaßbringend zu erfahren. Spiel vermittelt so bereits in der Kindheit kommunikative und interaktive Fähigkeiten und Techniken. Im Spiel erfahren sich Jugendliche als Gruppe in der Gruppe, erleben gruppendynamische Prozesse, lernen diese zu beeinflussen, sich ihnen zu stellen. Spiel ist gerade hier zugleich auch Freude an der eigenen Geschicklichkeit und Reaktionsfähigkeit, mehr oder weniger naive Freude am technischen Gerät. Geschicklichkeits- und Reaktionsspiele sind Kugel-Spiele, Kreisel-Spiele usw. sowie nahezu alle ComputerSpiele oder zumindest die Mehrzahl der Computer-Spiele. Spiele sind Menschen im Erwachsenen-alter ein ausgezeichnetes Mittel zur Entspannung und Regeneration, Hirnjogging im Alter. Und auch in dieser Lebensphase zugleich stets sozialintegrativ wirksam, aus der Vereinzelung lösend. Spiele schlussendlich - da kommen wir zu einem ganz zentralen Punkt - gehören zu den wenigen Medien, die auch heute noch Generationen übergreifen und Generationen verbindend wirksam und nutzbar sind. Und genau hier komme ich auf meine Prognose für das nächste Jahrtausend: Das Spiel im Ensemble der neuen, der neusten und allerneuesten Medien - wird es noch Bestand haben?

4. Zukunftsprognose für das Spiel

Zur Zeit gehen wieder einmal Visionen um, ungeheure Visionen jederzeit verfügbarer, allgegenwärtiger Erlebniswelten. Erlebniswelten komplexer und virtueller Art werden wieder einmal entwickelt und massenhaft produziert. Sie sind allesamt geprägt von dem Staunen über die Wunderwelt der Technik. Aber sie haben eine große Unbekannte, das ist nun einmal der Mensch. Der Mensch, der sich dieser hochtechnisierten, synthetischen Wunderwelt hingibt. Sich ihr hingibt und in ihr ganz und gar aufgeht oder auch nicht, sich ihr verweigert. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Entwicklung weitaus weniger stürmisch und tiefgreifend revolutionär weitergehen wird als zunächst prophezeit wurde. Das mediale Überangebot stößt auf begrenzte Aufnahmebereitschaft und Auf nahmekapazitäten bei dem Menschen. Die Frage wird immer wieder in den Raum gestellt, ob der Mensch des Medienzeitalters da überhaupt noch bereit sein wird, uralte, traditionelle Medien wie das Buch oder das Spiel zu nutzen und weiterzuentwickeln. Sie bekommt von daher einen neuen Akzent. Beide, das Buch wie das Spiel werden vor dem Hintergrund medialrevolutionärer Entwicklungen permanent totgesagt. Aber Totgesagte, so weiß es das Sprichwort, leben länger. Beide, das Buch wie das Spiel haben Qualitäten, die die elektronischen Medien noch nicht haben: unbegrenzte einfache Verfügbarkeit, Aufbau intensiver und langandauernder Phantasiewelten, spannende geistige Herausforderungen und erfüllte Erlebniswelten, die Begegnung mit leibhaftigen Menschen, ihren Ideen und ihren Gefühlen.

Im Hinblick auf die weitere Entwicklung zu Ende dieses Jahrtausends und in das nächste Jahrtausend hinein wage ich einfach mal eine Prognose und stelle dazu zusammenfassend vier Thesen in den Raum:

These 1: Das Spiel gehört zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit. Ältestes, mir bekanntes Zeugnis ist ein Mancala-Spiel aus dem Jahre etwa 6200 v. Chr. (Die Archäologen sind in ihrer Datierung stets sehr großzügig und sagen auch hier: plus-minus 250 Jahre.) 8000 Jahre Spielkultur deuten darauf hin, dass es sich hier um die Befriedigung eines den Menschen eigenen Urtriebs handelt, um eine besondere Form menschlicher Geistesäußerung, deren er als denkendes Wesen und als homo politicus, also auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen, elementar bedarf.

These 2: Das Spiel ist Synonym für Freude am Denken, Spaß an der Herausforderung des Zufalls und am Rollenwechsel, Erlebnis der geistigen und körperlichen Geschicklichkeit. Solange Menschen ein Bedürfnis danach verspüren, solange es noch Menschen als denkende und fühlende Wesen gibt, wird es auch noch Spiele dieser Art geben.

These 3: Das Spiel im Sinne der Brett-und Tischspiele diese Spielform hat eine starke, sozialintegrierende Kraft über Generations- und Standesunterschiede hinweg. Es geht von ihnen eine starke, zentrierende Wirkung rund um den Spieltisch aus, die von keinem anderen existierenden Medium auch nur annähernd erreicht wird. Das sichert ihm einen dauerhaften Bestand im breiten Medienangebot.

These 4: Das Spiel in der Form des Brett-und Tischspiels ist jederzeit verfügbar. Es ist zwar materialgebunden, dies aber auf einfachster Ebene. Ein Spielfeld, ein paar Figuren, ein Würfel oder auch nur Spielkarten: Dies alles ist völlig stromunabhängig und damit überall in Innen- und Außenräumen einsetzbar. Und ich füge auch hinzu, auch auf einer einsamen Insel einsetzbar, denn dahin würde ich persönlich auf jeden Fall das eine oder andere Spiel mitnehmen. Spiel und Spiele im Medienzeitalter - es ist meine feste Überzeugung, dass beide aufgrund ihrer Qualitäten und besonderen Möglichkeiten Bestand auch in weiteren "neuen Medienzeitaltern" haben werden. Ich danke fürs Zuhören. BT